Johannes Regnitz GD Publishing Ltd., 2008, 123 Seiten, 29,95 Seiten
Johannes Regnitz ist selber Betroffener, in seiner Wortwahl „ehemaliger
Trinker“ (im allgemeinen Sprachgebrauch „trockener Alkoholiker“). Er schreibt
Klartext, und das ziemlich radikal. Er formuliert eine Auffassung, die auf den
ersten Hinblick extrem erscheint, die sich aber beim näheren Hinsehen als eine
leicht nachvollziehbare Wahrheit herausstellt: Es gibt keine Alkoholiker!
Das scheint auf den ersten Hinblick ein sehr gefährlicher
Standpunkt zu sein – da es doch die pädagogische Absicht des Umfeldes und der
professionellen Begleiter sein soll, den Alkoholabhängigen genau zu dieser „Einsicht“
zu führen. Man spricht ja davon, dass viele erst „ganz unten“ sein müssen, ehe
sie zu der Einsicht gelangen, dass sie nunmal „Alkoholiker“ sind. Dann erst
könne der Weg zur Besserung beschritten werden. So die verbreitete Lehrmeinung.
Und da kommt dieses Buch daher, das jeden Trinker von der schmerzhaften
Einsicht per se freispricht! Wie soll da die Heilung eingeleitet werden?
Doch das Problem ist: Johannes Regnitz hat recht! Es gibt
keine „Alkoholiker“, genau so wenig, wie man einen Raucher, der zwei Schachteln
am Tag raucht als „Nikotiniker“ bezeichnet, während derjenige, der nur eine
Schachtel am Tag raucht, als „Normalraucher“ gelten dürfe. „Alkoholiker“
entlarvt Regnitz als ein Stigma, das die „Normaltrinker“ erfunden haben, um
ihren Konsum zu rechtfertigen. Doch Regnitz stellt fest, so etwas wie einen „Normaltrinker“
gibt es nicht, weil Ethanol ein schweres Gift ist, das von Anfang an abhängig
macht. Natürlich gibt es verschiedene Stufen der Abhängigkeit, aber es kann nicht
als „normal“ bezeichnet werden, was der Körper als ungesund empfindet und das
er bei den ersten Kontakten mit allen Mitteln von seinem System fernzuhalten
sucht. Erst durch die „alkoholische Schule“ unserer merkwürdigen Sozialisation
werden die Abwehrmechanismen des Körpers zermürbt, und er entwickelt
Notprogramme, die ihn dann zu dem sogenannten „Normaltrinker“ machen. Es ist
wichtig, dass das einmal festgestellt wird: Das ist nicht normal, das ist von
Anfang an krank!
Wer sich zu dieser Einsicht durchringt, der braucht nicht
erst den Weg bis ganz unten durchlaufen, ehe er reif für die Heilung ist. Diese
Einsicht IST sozusagen die Heilung. Johannes Regnitz beschreibt sehr
praxisbezogen den weiteren Heilungsweg, der auf dieser Einsicht aufbaut. Nach
der Entgiftung empfiehlt er nicht die Langzeittherapie, die den Betroffenen aus
seinen Lebenszusammenhängen herausreißt. Daher sind die Effekte nach der Rückkehr
in den Alltag schwer zu integrieren.
Anstatt dessen empfiehlt er ambulante psychologische bzw.
verhaltenstherapeutische Hilfe, um die Depressionen und Ängste aufzuarbeiten,
die dem Weg in die Sucht zugrundelagen.
An den Selbsthilfegruppen kritisiert er genau diese
Auffassung, dass der Alkoholkonsum für den „Normaltrinker“ ein probater und
sogar gesunder Begleiter des Alltags und geselliger Anlässe sei, nur der „Alkoholiker“ müsse sich ihnen anschließen, und bleibe es ein Leben lang (so wie er ein
Leben lang in der Selbsthilfegruppe bleiben soll). Hier übersieht Regnitz
leider die Guttempler, die sich seit über 150 Jahren um eine alkoholfreie Gesellschaft
bemühen, und im Ausrichten alkoholfreier Zusammenkünfte eine neue Konsumkultur
etablieren wollen. Dieser grobe Fehler zeigt, dass Regnitz die Recherche im
Bereich der Selbsthilfegruppen eher halbherzig betrieben hat.
Abgesehen von diesem Schnitzer bietet das Buch Erkenntnisse,
die sowohl umwälzend als auch hieb- und stichfest, als auch äußerst hilfreich
sind. Durch Empfehlungen und Informationen zur Wiedererlangung des
Führerscheins über eine MPU wird dieser Wegweiser in das neue alkoholfreie
Leben abgerundet.
Nach meiner Auffassung ist es nicht nur für Menschen
empfehlenswert, die durch ihren Alkoholkonsum bereits auffällig geworden sind bzw.
sehr viel Lebensqualität eingebüßt haben. Es ist für alle Menschen
empfehlenswert, auf dass ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet.
Der Alkohol muss endlich geächtet werden als eine
gefährliche Droge, wie andere Drogen auch!