„Weizenwampe“ von Dr.med. William Davis Goldmann, München, 2013 – Tb, 400 Seiten, 9,99 €
23.10.2013
Eindrucksvoll wird aufgezeigt, dass Weizen am Anfang einer
verhängnisvollen Kette von Stoffwechselabläufen steht. Wer Weizen als ein
natürliches Lebensmittel ansieht, das uns doch schließlich seit Jahrtausenden
begleitet, wird in diesem Buch eines Besseren belehrt: Der heute verbreitete
Weizen hat mit dem Weizen von vor sechzig Jahren nicht mehr viel zu tun. In den
Sechziger und Siebziger Jahren wurde der Weizen von den hohen stolzen goldenen
Ähren zum modernen ertragreichen Zwergweizen gezüchtet. Die Veränderungen in
der Genstruktur sind so umwälzend, dass sie zu einer unglaublichen Gefährdung
der Gesundheit des nichtsahnenden Weizenkonsumenten führen. Hierbei macht es
keinen bedeutenden Unterschied, ob es sich um Produkte aus Auszugsmehl oder aus
Vollkornweizenmehl handelt. Besonders das Klebereiweiß im Weizen, das Gluten
hat sich zu einem gefährlichen Suchtstoff mutiert, der nicht nur zum
Immer-mehr-essen animiert, sondern auch zu gefährlichen Reaktionen im Körper
führt. So wird aufgezeigt, dass die Glutenallergie, auch Zöliakie genannt, sich
weder auf die damit verbundenen Darmprobleme beschränkt noch bei diesen
stehenbleibt. Ob mit oder ohne Darmprobleme kann der genauer hinschauende
Mediziner bei vielen Zivilisationskrankheiten eine Korrelation mit den typischen
Zöliakiemarkern im Blut entdecken, die auf Glutenverzehr basieren. Ein
Glutenverzicht – oder zumindest Weizen-Glutenverzicht – erscheint deshalb nicht
nur für die Glutenallergiker mit den typischen Symptomen ratsam.
Hinzu kommt, dass Weizen eine Stärkeform enthält, die den
Blutzuckerstoffwechsel besonders stark durcheinanderbringt und zur sogenannten
„Insulinschaukel“ führt – den ständigen Wechsel von extremen
Blutzuckerschwankungen in Zusammenhang mit panikartigen Insulinausschüttungen
der Bauchspeicheldrüse. Hier erkennt Dr. Williams den eigentlichen Knackpunkt
der verbreiteten Fettsucht. Somit passt das Buch zur „Low Carb High
Fat“-Bewegung, die in den USA und in Schweden bereits sehr zahlreiche Anhänger
hat. Allein durch den Verzicht auf Weizen ohne weitere Einschränkungen
behauptet Dr. Williams glaubhaft, würde der Mensch durch den Wegfall des
Suchtfaktors von ganz alleine 300 bis 400 kcal täglich weniger zu sich nehmen.
Genau wie die „Low Carb High Fat“-Bewegung offenbart das
Buch seinen Schwachpunkt in der Inkonsequenz gegenüber dem Fleischverzehr. Dr.
Davis führt ausdrücklich anhand der Osteoporose an, dass diese Krankheit umso
mehr fortschreitet je höher der Fleischanteil gegenüber dem Gemüseanteil ist –
und umgekehrt, dass die Knochendichte mit steigendem Gemüseanteil zunimmt.
Dennoch kann sich Dr. Davis nicht zu einer Empfehlung für den Vegetarismus
durchringen. Im Gegenteil, weiter hinten im Buch wird eine Vegetarierin
angeführt, die die Hintergründe der China Study (Campbell) beleuchtete und
überrascht feststellte, dass die Betonung des Fleischanteils in Bezug auf die
zunehmenden Zivilisationskrankheiten eine willkürliche Einengung der Sichtweise
darstellte und dass andere Faktoren ausgeblendet wurden. Daraufhin nahm diese
Frau vom Vegetarismus wieder Abstand.
Wie kann es sein, dass so viele Ernährungswissenschaftler
einfach nicht in der Lage sind, bis zwei zu zählen?! Denn gerade für die
Wissenschaftler, die sich anschicken, die bisherigen festgefahrenen Lehrsätze
infrage zu stellen, ist es doch Allgemeingut, dass viele Krankheiten nicht nur
eine Ursache haben, dass immer eine Multikausalität in Betracht gezogen werden
sollte. Dennoch sind viele von ihnen so verliebt in ihre neuen Erkenntnisse,
dass sie wieder in die Sichtweise der Monokausalität zurückfallen und in dieser
einen Ursache das Ei des Kolumbus gefunden zu haben glauben.
In Bezug auf die Zivilisationsernährung, die natürlich nur
einen krankmachenden Lebensfaktor von mehreren darstellt, enthält sie nicht nur
einen Krankheitsverursacher, aber auch nicht unüberschaubar viele, sondern –
natürlich etwas vereinfacht betrachtet – genau zwei:
-
das Überangebot an konzentrierten erhitzten
Kohlenhydraten -
und das Überangebot an artfremden Eiweißen (hierunter möchte ich die tierischen Eiweiße und das Weizengluten
zusammenfassen).
Es sind diese zwei Punkte, die die Zivilisationsernährung
von der traditionellen Ernährung, egal auf welchem Kontinent, unterscheiden.
Wenn die China Study sich nur auf einen der beiden Punkte konzentriert, nämlich
das Überangebot an artfremden Eiweißen (bezogen auf die tierischen Eiweiße), so liegt sie bezogen auf diesen Punkt
dennoch nicht im Irrtum. Der Übertritt zum Vegetarismus muss nicht
zurückgenommen werden, sondern nur ergänzt durch eine Low Carb-Ernährung, genau
wie die Low Carb-Ernährung ergänzt werden sollte durch den Übertritt zum
Vegetarismus.
Mit dieser Einschränkung ist das Buch „Weizenwampe“ von
Dr.med. William Davis sehr empfehlenswert. Es zeigt einen wichtigen
Krankheitsfaktor in unserer Ernährung auf und öffnet die Augen für die Büchse
der Pandora, zu der der Weizen der verhängnisvolle Schlüssel ist. In den
wissenschaftlichen Zusammenhängen geht das Buch sehr in die Tiefe. Ich
persönlich konnte davon nur teilweise profitieren, bei manchen Zusammenhänge
half mir das Buch zu einem besseren Verständnis und offenbarte ganz neue Aspekte. Jedoch bei manchen Passagen über den Fettstoffwechsel war das Lesen
etwas mühsam, weil bei mir als Nichtmediziner das Aha-Erlebnis trotz aller
Bemühung ausblieb. Hier sind teilweise medizinische Vorkenntnisse vonnöten, die
man von dem interessierten Laien nicht erwarten kann. Im Großen und Ganzen aber
kann man bei einer interessierten Anteilnahme an physiologischen Prozessen
durchaus dem Autor folgen, und es lohnt sich, auf den Spuren seiner Erfahrungen
und Gedankengänge zu wandeln. Die vielen eingestreuten Erfahrungsberichte aus
seiner Tätigkeit als praktizierender Arzt und die Empfehlungen und Rezepte zur
Umstellung runden das Buch ab.