Wie ich durch Yoga im Knast die Freiheit entdeckte
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Ein äußerst aufschlussreiches Buch über Psychologie,
Gesellschaft und Spiritualität. Dieter Gurkasch schildert seinen Weg von einem
gewaltbereiten Verbrecher zu einem Yogi, der die Welt verbessern möchte und
einen gemeinnützigen Verein gegründet hat, um Yoga in die Gefängnisse zu
bringen.
Die Ursachen der enormen Gewaltbereitschaft, die er in
seinem autobiographischen Bericht schildert, werden nicht gründlich analysiert.
Es bleibt Freiraum für Interpretation. Doch die naheliegende Interpretation ist
erschütternd.
Dieter Gurkasch ist in einem behüteten Elternhaus
aufgewachsen und hat von seinen Eltern durchaus Liebe erfahren. Das Verhältnis
zu seiner Mutter schildert er als besonders eng. Noch während der Schulzeit
gerät er in falsche Kreise und begeht seinen ersten Einbruch: Er beschafft sich
in der Schule die Formulare, um sein Zeugnis zu fälschen, damit seine
Schulabwesenheit zuhause nicht auffliegt. Später kann er noch eine Bäckerlehre
beginnen und auch zuende bringen. Doch schon während dieser Lehre gerät er an
Drogen und beginnt zu dealen. Ein Leben als braver Arbeitnehmer kann er sich
nicht vorstellen und träumt davon, durch Verbrechen reich zu werden und sich
ins Ausland abzusetzen. Während einem Einbruch in einen Kiosk – vor allem um
den Drogenkonsum zu finanzieren – geschieht es, was er sein Leben lang
bedauert: Er tötet die Inhaberin.
Im Gefängnis – „Santa Fu“ in Hamburg – lernt er Fee kennen,
die ihn mit einem Freund besucht. Über die Jahre werden sie ein Paar, und Fee
steht zu ihm trotz der schwierigen Situation. Durch seine Körpersprache
(morgendliche „Weltmeisterschaft im Böse-Blicken“), durch Drohgebärden, durch
Drogendealen und heimliches Schnapsbrennen in der Zelle kann sich Gurkasch unter
den Gefangenen eine ganz gute Position erobern, die ihm den Gefängnisalltag
erleichtert. Anfang der 90er nimmt er an einem Gefangenenaufstand teil, und ist
in seinem Denken noch von einer „Rebellion“ gegen „das System“ geprägt (was
auch immer damit gemeint sein mag). Diese sozialkritischen Thesen verbinden Fee
und Dieter in ihrem brieflichen Austausch. Einen Ausbruchversuch und viele
Jahre guter Führung später landet Gurkasch in Altengamme, einem
„Knacki-Paradies“, wie er es nennt. Dort gibt es gelockerte Haftbedingungen und
vielfältige sozialtherapeutische Angebote: psychologische Einzel- und
Gruppengespräche, Sport, Möglichkeiten zu handwerklicher und künstlerischer
Entfaltung – und sogar eine Yoga-Gruppe! Zu der Zeit spricht ihn jedoch Yoga
noch nicht besonders an.
Gurkasch kann sich gut integrieren und wird 1996 nach
Verbüßung der Haftstraße mit einer guten Sozialprognose entlassen. Innerlich,
schreibt er, habe er jedoch von vornherein nicht den Plan gehabt, ein braver
Bürger zu werden, der seine Steuern zahlt und Zahnseide benutzt. Nach außen gab
er gerne den Geläuterten, doch innerlich war ihm klar, dass er nach wie vor ins
Verbrechen einsteigen will, um auf großem Fuß zu leben und sich irgendwann ins
Ausland abzusetzen. So baut er in Freiheit ein organisiertes
Verbrecher-Netzwerk auf, mit dem er durch Überfälle und Einbrüche bis zu
„20.000 bis 30.000 D-Mark“ im Monat macht. Eines Tages eskaliert die Situation
in einer Schießerei mit der Polizei. Er wacht nach einer Woche Koma im
Krankenhaus auf mit einem Rückendurchschuss zwischen Herz und Wirbelsäule, jeweils
nur einen Zentimeter entfernt.
Er begreift, dass er ein neues Leben geschenkt bekommen hat.
Er erfährt auch, dass er weiterhin den finsteren Typen mimen will, dass aber
dieser abgrundtiefe Hass, der ihn jahrelang begleitet hat, einfach nicht mehr
da ist – „als hätten sie mir ein Stück vom Herzen mit hinausgeschossen“. Er hat
das Leben von vier Polizisten aufs Spiel gesetzt und wird mit 36 Raubüberfällen
in Verbindung gebracht. Deshalb wird er zu zwölf weiteren Jahren verurteilt,
darüberhinaus mit Sicherungsverwahrung. D.h. es gab kaum eine Chance, dass er
jemals nochmal lebend das Gefängnis verlassen würde.
Die unglaubliche, wunderschöne und romantische Erfahrung,
die er dabei machen durfte, war: Fee stand immer noch zu ihm. Völlig
bedingungslos schenkte sie ihm ihre Liebe und zeigte ihm, dass sie alles auf
sich nehmen würde, nur um ihn lieben zu dürfen und in seinem Herzen zu sein.
Das ist einer der Faktoren, die seine innere Wandlung
bewirken. Der nächste Faktor ist, dass sich mit Fee ein spiritueller Austausch
entspinnt. Sie liest viele spirituelle Bücher, die sie ihm empfiehlt.
Schließlich ergreift beide ein innerer Aufbruch wie ein Fieber. Sie
beschäftigen sich mit indischen Heiligen, christlicher Mystik und Yoga.
Schließlich bietet Dieter Gurkasch noch als Gefangener eine Yoga-Gruppe an, die
immer mehr Zuspruch findet. Er selber läuft nach Prozessen der Reinigung und
Erneuerung als ein dauergrinsender Gute-Laune-Mensch durch das Gefängnis – ein
totaler Kontrast zu der sonst üblichen „Weltmeisterschaft im Böse-Blicken“.
Gurkasch entwickelt sich zu einem Vorzeige-Häftling, der Yoga-Gruppen anbietet,
Kulturveranstaltungen organisiert und die Gefängnis-Bibliothek auf Vordermann
bringt. All das kann die Leitung nicht überzeugen: Haftlockerungen oder ein
Beenden der Sicherheits-Verwahrung, auch nach dem Gesetzes-Durchbruch Anfang
2011, der sie als verfassungsfeindlich einstuft, werden nicht gewährt. Doch im
Herbst 2011 kommt er schließlich frei und beginnt sein neues Leben mit Fee und
mit seiner Mission: Yoga in die Gefängnisse zu bringen.
Dieter Gurkasch schildert seine Geschichte unterhaltsam und
selbstironisch, ungeschönt und berührend. Es ist eine Geschichte mit Herz, die
es dem Leser trotz seiner Vergangenheit schwierig macht, ihm keine Sympathien
entgegen zu bringen.
Kritikpunkte gibt es für mich wenige, genau zwei, aber ich
möchte sie doch äußern:
Als er in der letzten Phase seiner Haft eine echte innere
Wandlung durchmacht, so wird das von der Gefängnisleitung nicht wirklich
gewürdigt. Er wird weiterhin als ein Schwerverbrecher behandelt. Längere
Treffen mit Fee ohne Bewachung oder darüber hinausgehende Erleichterungen, bis
hin zur Freilassung nach dem Kippen der Sicherheitsverwahrung, werden ihm
verwehrt. Er beschreibt diese Situation sehr kommentarlos, einfach als ein
Bericht. Doch fehlt mir da ein Stück Verständnis für die „Gegenseite“. Er
benutzt bei dieser Schilderung das Wort „Blockade“. Vielleicht habe ich in mir
doch einen restriktiven Aspekt, aber ich möchte es äußern, auch wenn ich mich
damit vielleicht als „Law- and-order“-Mensch oute, als den ich mich eigentlich
gar nicht sehe. Aber ist diese „Blockade“ der Gefängnisleitung nicht durchaus
nachvollziehbar? – Ein Mensch, der zwölf Jahre zuvor alle sozialtherapeutischen
Angebote hatte, die ein Knast je aufbringen kann, darunter auch Yoga. Der sie
genutzt und genossen hat, der sich nach außen ein positives Schein-Ich
aufgebaut hat, und der dann in der Freiheit nichts Besseres vorhatte, als sich
wieder auf die kriminelle Laufbahn zu begeben, durch seine Knast-Kontakte auf
einer professionelleren Ebene als jemals. Jemand, dem es wurscht war, dass er durch
den Gebrauch seiner Schusswaffe den Tod von vier Polizisten in kauf nahm, auch
wenn es nicht dazu kam. Natürlich hätte man 2011 an seiner Ausstrahlung
bemerken können, dass diesmal seine Wandlung echt war. Aber warum sollte sich
die Gefängnisleitung überhaupt damit befassen? Warum sollte ihm überhaupt noch
einmal eine Chance in diesem Leben gewährt werden? Gerade aus einer
spirituellen Sichtweise heraus wiegt die Absicht karmisch gesehen annähernd so
viel wie die ausgeübte Tat. Seine Absicht war es doch gewesen, die Polizisten
aus dem Weg zu räumen, um seine Freiheit zu retten. Darum hatte er sich die
Waffen angeschafft. Darum hatte er seine Schusswaffe gezogen, als es die
Situation erforderte. Diese Taten waren 2011 schon lange her – aber bei sehr
vielen Menschen überwiegt die Überzeugung, dass es Verbrecher gibt, die sich in
diesem Leben nicht ändern. Ich selber glaube, dass jeder Mensch sich ändern
kann, aber ich kann diese Menschen für diese Überzeugung nicht verurteilen: Ich
finde diese Überzeugung sehr verständlich – gerade angesichts der Biographie
von Dieter Gurkasch. Er hat die sozialtherapeutischen Bemühungen von Altengamme
mit Füßen getreten. Dass das in seinem Leben noch 15 Jahre später nachgewirkt
hat, ist doch eigentlich folgerichtig, oder?
Der zweite Punkt ist, dass er gerne möchte, dass Yoga im
Gefängnis als Arbeitszeit betrachtet wird. Die armen Gefangenen müssten sonst
ihre geringe Freizeit opfern, wo sie nicht eingeschlossen sind und geraten in
einen Konflikt zwischen Gesprächen mit Kumpels, Sport oder irgendwelchen
entspannendem Zeitvertreib. Ich verstehe seine Absicht, den Gefangenen den
Zugang zum Yoga zu erleichtern. Aber wie ist es denn bei einem Arbeitnehmer
draußen? Er muss nicht nur den Yoga-Kurs von seinem Geld bezahlen, er muss genauso
seine Freizeit opfern. Er hat natürlich nicht den Zelleneinschluss wie ein
Knast-Insasse, aber wenn er nach der Arbeit noch eine Stunde oder länger mit U-
und S-Bahn nachhause fahren muss und sich sein Abendbrot selber machen muss,
dann bleibt genauso wenig freie Zeit. Er durchlebt die gleichen Konflikte
zwischen spirituellem Kursangebot und anderem Zeitvertreib. Warum sollten die
Gefangenen luxuriösere Bedingungen haben als jeder normale Arbeitnehmer? Auch
hier ist meine Auffassung vielleicht zu restriktiv. Aber wenn der Knast den
Menschen sozial therapieren will und auf das Leben „draußen“ vorbereiten will,
dann kann doch das Leben im Knast nicht luxuriösere Bedingungen bieten als das
Leben draußen! Ansonsten wäre es ja verlockend, eine Straftat zu begehen, um in
den Knast zu kommen! Da meldet mich mein Gerechtigkeitssinn!
Nun kommen wir zu der Interpretation seines Weges, zur
Analyse, weshalb diese Verbrecherlaufbahn überhaupt notwendig war im Leben
eines Menschen, der nicht nur in einer Wohlstandsgesellschaft aufwuchs, sondern
noch dazu in einer Familie, die durchaus an diesem Wohlstand teilhatte und ihm
eine stabile Geborgenheit in der Kindheit vermitteln konnte. Die Ansätze, die
nach den Ursachen für eine Verbrecherlaufbahn in einer leidvollen Kindheit
suchen, versagen offenbar. Was für mich auffällig ist, sind drei Komponenten,
die sich zu einem Ersatz-Selbst zusammenfügen, das ihn einen so unheilvollen
Weg hat gehen lassen.
1.)
Ablehnung der „Gesellschaft“ und des „Systems“
(was immer das bedeuten mag)
2.)
Grundloser Hass auf Alles und Jeden
3.)
Stolz auf möglichst viele und möglichst üble
Straftaten, Phantasien, wie er mit einem Panzer einem Knacki zur Flucht
verhilft, Suche nach der Anerkennung bei den Knastbrüdern, nicht bei der
Gefängnisleitung, das Basteln an einem Selbstbild als knallharter „Rebell“, der
ohne Rücksicht auf Verluste seinen Weg geht.
Dieses Ersatz-Ich nimmt ihn über Jahre völlig ein. Nicht
völlig, nein, immer wieder berichtet er von Reue und von Zweifeln. Aber es
behält über Jahre die Oberhand.
Dass er diesen Weg gehen musste und so viel Energie
aufgewendet hat, um an einem völlig destruktiven Konzept zu bauen, das erklärt
sich nach meiner Überzeugung einzig und allein durch das spirituelle Vakuum, in
dem er aufwuchs und das unsere Gesellschaft in weiten Teilen prägt. Das
Lebens-Konzept von dem Arbeitnehmer und Familienvater, der durch Fleiß seine
Brötchen verdient, ist an sich einfach zu langweilig, um wirkliche Motivation
zu entfachen – zumindest bei denen, die bewusst oder unbewusst an diesem
spirituellen Vakuum leiden. Dieter Gurkasch hat wohl die meiste Zeit eher
unbewusst an diesem spirituellen Vakuum gelitten, zu einem Sucher wurde er erst
durch den Austausch mit Fee, als er die Vierzig bereits überschritten hatte.
Warum empfand er die Gesellschaft als so herzlos? – Nicht, weil der
Gesellschaft das Herz fehlt, die Mitte, der spirituelle Brennpunkt? Eine
technokratische Gesellschaft, die als ihre höchsten Kulte Comedians, Popstars
und Fußball pflegt, lässt den sinnsuchenden Jugendlichen im Regen stehen. Sie
lädt ihn ein mitzugrölen bei den Comedy-Events, den Popkonzerten und bei den Fußballspielen.
Aber es gibt nun einmal viele, die macht das Grölen nicht satt. Innerlich.
Innerlich fehlt da was. Hoffnungslos es denen zu erklären, denen es nicht genau
so geht. Und da das Herz fehlt, widert einen die ganze Wohlanständigkeit der
Gesellschaft inkl. ihren Ordnungshütern und Gefängniswärtern einfach nur an.
Die beste sozialtherapeutische Umsorgung, inklusive einem
Yoga-Kurs, – wie in Altengamme – vermag es zwar, den Menschen äußerlich etwas
milder zu stimmen, aber nicht, dieses innere Vakuum aufzufüllen. Hier zeigt
sich ein verbreitetes Manko der Yoga-Kultur in der westlichen Gesellschaft:
Wenn sie zu einem Entspannung- und Gymnastik-Angebot heruntergestuft wird, dann
kann nicht das vermittelt werden, was Yoga eigentlich zu bieten hat: eine neue
Sicht der Welt und des Lebens, eine spirituelle Ausrichtung, die den
unbewussten Sucher in einen Findenden verwandelt. Vielfach möchten die Anbieter
von Yoga ihr Angebot niederschwellig präsentieren, indem sie den
philosophischen und den spirituellen Aspekt nur antippen, aber eigentlich außen
vor lassen. Man will hipp sein und eine chicke Gymnastik-Kultur etablieren, bei
der man nette Leute trifft. Aber das ist es noch nicht. Es bedarf eines
Berührtwerdens von Gott, um einen echten inneren Wandel herbeizuführen.
Besonders berührend an diesem Buch, noch einmal sei es
gesagt, ist die Liebesgeschichte zwischen Dieter und Fee. Hier zeigt sich die
tiefe Bedeutung der Herzensliebe zwischen Mann und Frau. Sie kann den Menschen
zu Gott führen. Wie kann sie da nicht von Gott gewollt sein?