Dass Laufen für Kreislauf, Stoffwechsel und Psyche sehr gesund ist, wird immer mehr Menschen bewusst. Und dass es so ist, ist ja kein Zufall: Laufen ist die natürlichste Form der Bewegung. Noch ehe der Mensch gehen kann, läuft er. Denn die ersten Schritte des Kleinkindes sind Laufschritte. Wer das Laufen trainiert, der trainiert die Fortbewegung ohne Hilfsmittel. Und der Mensch ist kein Wesen, des Wassers oder der Luft, sondern des Landes.
„Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft.“
(Emil Zatopek, „die tschechische Lokomotive“)
Weil das Laufen eine so ur-natürliche Ausdrucksform des menschlichen Daseins ist, könnte man sagen:
Behinderung fängt nicht erst da an, wo der Mensch nicht mehr gehen kann, sondern wo der Mensch nicht mehr laufen kann!
Diese Sichtweise von Behinderung geht nicht von der Frage aus: Welche Fähigkeiten sind notwendig, um im Arbeitsleben der menschlichen Gesellschaftsordnung seinen Platz auszufüllen? Diese Sichtweise von Behinderung geht von der Frage aus: Welche Fähigkeiten gehören zum vollen Potential des Menschseins?
Denn nur überleben ist Dahinvegetieren. Richtiges Leben bedeutet sein Potential zu entdecken und zu entfalten. Und Laufen gehört dazu.
Weil Laufen in der Natur des Menschen liegt, ist Laufen so gesund:
für den Kreislauf, für den Stoffwechsel, für die Psyche.
- Und für die Gelenke?
Hier liegt für viele Menschen „der Knackpunkt“. In den Gelenken liegt der häufigste Grund, weshalb Menschen mit dem Laufen wieder aufhören oder gar nicht erst anfangen. Wie kann das sein, wenn doch Laufen so natürlich ist? Ganz einfach: Die meisten Läufer laufen falsch!
Nach ihrer Lauftechnik befragt, antworten viele Läufer sinngemäß
„Ich bin Mittelfußläufer und achte auf gutes Abrollen“.
Das klingt salomonisch: Man setzt weder mit dem Vorfuß auf noch mit der Ferse, sondern mit „dem Mittelfuß“. Und dann rollt man über den Vorfuß ab. „Abrollen“ – das klingt so wunderbar sanft!
Doch was geschieht da genau? Die gesunde Fußsohle ist ja nicht konvex geformt (nach außen gewölbt), sondern eher konkav (nach innen gewölbt)! Das heißt, man kann entweder mit dem Vorfuß aufsetzen, oder mit der Ferse, oder mit dem ganzen Fuß! Und wie soll man „Abrollen“, wenn doch die Fußsohle gar nicht nach außen gewölbt ist? Der Fuß rollt nicht ab, sondern er knickt im Vorfußbereich ein. Dann kann er sich auf dem Vorfuß vom Boden abstoßen.
Dieses Anheben des Rückfußes kann keine Federung bedeuten, denn es richtet sich ja gegen die Stoßrichtung. Von einer Federung kann ja nur die Rede sein, wenn es ein Nachgeben in gleicher Richtung der Stoßrichtung gibt, also einen Federweg.
Ein „Abrollen“ beim Laufen kann nach den Gesetzen der Physik nur dann die Stoßkräfte teilweise auffangen, wenn man bergab läuft. Denn dann kann ein Teil der Stoßkraft in den Fall des nächsten Schrittes weitergeführt werden.
Der übliche Laufstil birgt einen entscheidenden Nachteil, egal ob man mit der Ferse oder mit dem ganzen Fuß aufsetzt: Die Erschütterung, die ein Mehrfaches des Körpergewichts beträgt, wird nahezu ungemildert an unseren Bewegungsapparat weitergegeben: an die Knie, an die Hüfte, an die Wirbelsäule. Da helfen dann auch keine „gedämpften“ Laufschuhe mehr. Dass durch das Aufsetzen mit dem ganzen Fuß die Stoßkraft abgemildert wird, ist ein Märchen. Natürlich verteilt sich die Stoßkraft auf die Aufsetzfläche, aber das macht ja keinen Unterschied mehr für die weitere Säule des Bewegungsapparats: für das Sprunggelenk, das Wadenbein, das Knie, das Hüftgelenk, und schließlich für den Oberkörper. Die Federung durch die Bindegewebsstruktur der Fußsohle, durch das Längs- und Quergewölbe des Fußes oder durch die Dämpfung der Schuhe ist im Verhältnis zu der enormen Wucht der Presslufthammerschläge der Laufschritte minimal. Es fehlt ein effektiver Federweg.
Die entscheidende Erkenntnis über das Laufen und über den menschlichen Fuß ist:
Der Fuß ist keine Rolle, der Fuß ist eine Feder!
Und wo kann beim menschlichen Fuß ein Federweg eingebaut sein? Ganz einfach: Der Federweg ist das Schwingen der Ferse nach dem Aufsetzen auf dem Vorfuß!
Dieser Laufstil verlangt einen allmählichen Aufbau all der Muskeln und Bänder, die dafür notwendig sind, die aber bei den meisten Menschen mehr oder weniger verkümmert sind. Wie es Matthias Marquardt in seinem revolutionären Buch „Natürlich laufen“ (Spomedis, Freiburg, 2002) ausdrückt:
„Der Marathoni mag sich zwar an der Startlinie eines 3000-Meter-Laufes deplaziert vorkommen, für die Schulung seiner noch jungen Technik ist dies aber ideal.“
Natürlich muss man mit noch viel kleineren Strecken beginnen, denn es geht darum, das weiterzuführen, was die meisten Menschen nach ihren ersten Schritten als Kleinkind unterbrochen haben: das Erlernen und Trainieren des natürlichen Laufstils. Denn die ersten Schritte des Kleinkindes sind Vorfuß-Laufschritte! Wir sind größer geworden, wir haben das Gehen erlernt, und es wurde als ein Fortschritt gewertet. So ist es aber mit dem „Fortschritt“: Jeder „Fortschritt“ wird zum „Rückschritt“, wenn er dazu führt, dass wir unsere Grundlagen und unsere Wurzeln vernachlässigen.
Ein großer Schwachpunkt ist, neben der Achillessehne, das Quergewölbe im Vorfuß. Ein Einsinken des Quergewölbes durch eine Überbelastung bedarf Monate und Jahre der schonenden Wiederaufbauarbeit. Deshalb ist es für den werdenden Vorfußläufer so wichtig, ganz klein zu beginnen und sich nur allmählich zu steigern und sich von dem Ehrgeiz, möglichst schnell einen Marathon zu laufen, zu verabschieden. Wer zu dieser allmählichen Aufbauarbeit nicht bereit ist, wäre es für ihn nicht besser, ein sanftes Walking zu betreiben als zu Laufen? Denn ein ambitioniertes Lauftraining mit der üblichen „Mittelfuß“-Technik bedeutet, Motor und Getriebe eines Sportwagens auf das Fahrgestell eines Kleinwagens zu setzen. Und „das Fahrgestell“ sind unsere Gelenke!
Deswegen: Vorfuß-Laufen oder gar nicht!
Vorfußlaufen ist gesund, auch für unseren gesamten Bewegungsapparat. Die Belastungen beim Vorfußlaufen, wenn sie behutsam und allmählich gesteigert werden, geben dem Bewegungsapparat genau die Impulse, die er zu seiner gesunden Entwicklung benötigt (und die ihm dadurch eben helfen, Gelenk- und Haltungsprobleme zu vermeiden!).
Dann ist Laufen „rundum gesund“!
Ein weiterer Vorteil des Vorfußlaufens betrifft die Wirbelsäule. Beim
gewöhnlichen Laufstil – Aufsetzen mit dem ganzen Fuß oder mit der Ferse – liegt
der Aufsetzpunkt tendentiell vor dem Körperschwerpunkt. Hierdurch bekommt die
Wirbelsäule nicht nur einen härteren Stoß, sondern sie befindet sich auch in
einer ungünstigeren Position. Denn zum Ausgleich muss sich der Oberkörper mehr
nach vorne neigen und wir haben tendentiell mehr eine Rundrückenposition. Beim
Vorfußlaufen liegt der Aufsetzpunkt tendentiell unter dem Körperschwerpunkt.
Dadurch kann sich der Oberkörper aufrichten und die naturgegebene Federwirkung
der Wirbelsäule als „S-Feder“, nicht als „C-Feder“, kommt zum Tragen. So setzen
die harten Stöße beim gewöhnlichen Laufstil für die Wirbelsäule unangenehme
Impulse, die zur Desorganisation der Bandscheiben eher noch beitragen, während
die sanften Stöße beim Vorfußlaufen für die Wirbelsäule angenehme Impulse
setzen, die ihre funktionale Ordnung unterstützen.
Meine eigene Erfahrung ist: Ich kann meine eigenen Fuß- und Gelenkbeschwerden, die ich mir durch falsches Training zugezogen habe, durch das natürliche Laufen allmählich ablegen und überwinden. Mein Rücken ist trotz der Belastungen durch die Altenpflege gesund geblieben. Die tiefe Überzeugung, dass das Vorfußlaufen meine Beschwerden nicht verstärkt, sondern heilt, weil es dem Bewegungsapparat die aufbauenden Impulse gibt, die seine Entwicklung in die richtige Richtung führen, zeigt Früchte. Die Technik des Vorfußlaufen hat mir das Hobby des Laufens gerettet, das ich sonst hätte aufgeben müssen.
Wer noch Zweifel hat, dem empfehle ich, sich an der Natur zu orientieren: