aus Rundbrief Nr. 14 (Dezember 2007 / enthalten in "Lebensreform heute", Norderstedt, 2009)
Bild: Emil Cardinaux, Schweiz, 1924
Für oder gegen Alkohol?
In dieser Frage drückt sich bereits ein Standpunkt aus: Es gibt nur für oder gegen Alkohol
- kein Dazwischen, keine Bedingungen.
Ist das ein extremer Standpunkt?
Es ist ein konsequenter Standpunkt!
Es gibt nur für oder gegen Alkohol! Die Gründe sind:
1.) Zwischen Genuss und Sucht gibt es keine Trennlinie
2.) Alkoholismus ist nicht eine zufällige Krankheit, sondern eine Frage des Lebensstils
3.) Der spirituelle Weg ist eine Kurve
4.) Abstinenz – ein Aspekt der christlichen Lebensweise
1.) Zwischen Genuss und Sucht gibt es keine Trennlinie
Da, wo es keine Trennlinie gibt, da gibt es auch keinen prinzipiellen Unterschied, nur einen graduellen.
Der Genusstrinker beschreibt den Unterschied zu einem Suchttrinker so:
„Ich kann aufhören, wann ich will.“
Doch hier haben wir schon die erste Selbsttäuschung. Und gerade darin, dass man sich selbst täuscht und belügt, sehen die Fachbücher ein Kriterium der Sucht. Die Selbsttäuschung besteht nicht darin, dass der Satz nicht zutreffend wäre. Die Selbsttäuschung besteht darin, dass hier kein Unterschied zum Suchtkranken vorliegt. Es gilt für den Suchttrinker ebenso wie für den sogenannten Genusstrinker:
„Ich kann aufhören, wann ich will“.
Tatsächlich sind es wohl weit mehr Suchttrinker als Genusstrinker, die mit dem Trinken aufhören. Jeder kann mit dem Trinken aufhören, sobald er es nur will. Die Frage ist nur: Wie schwer will man es sich machen? Und: Wieviel Schaden soll der Alkohol erst anrichten, ehe man vom Trinken lässt? Wenn der Genusstrinker antwortet „der Alkohol soll wenig bisgar keinen Schaden anrichten“, dann gibt es nur eine Konsequenz: sofort aufhören. Wenn der Genusstrinker dazu nicht bereit ist, bejaht er in seinem Inneren bereits, dass der Alkohol erst größeren Schaden anrichten muss, bevor er bereit ist, von ihm abzulassen. Er bejaht also bereits innerlich den Weg der Sucht. So gibt es also nur: Für oder Wider!
Da ich als Nicht-Betroffener schreibe und die Worte derer, die es selber einmal erlebt haben, allemal mehr wiegen, zitiere ich hier aus dem Buch „Leben ohne Alkohol“ der trockenen Alkoholikerin Diana Beate Hellmann (Luebbe Tb, Bergisch Gladbach, 2003, Sn. 11-12):
„Es geschieht nicht von heute auf morgen, sondern schleichend, irgendwann ist es so weit. Irgendwann werden Sie in unangenehmen Alltagssituationen an die Flasche Wein in Ihrem Kühlschrank, an das Bier im Keller oder an den Schnaps in Ihrer Hausbar denken, und während Sie das tun, werden Sie sich einbilden, dass dies nur die Vision des wohlverdienten Szenariums ist, bei dem Sie sich später von den Unbilden des gerade so unangenehmen Augenblicks erholen werden. Träume schaden schließlich nicht. Träume dieser Art verwandeln sich nur schnell in Verhaltensmuster. Eh Sie sich versehen, werden Sie auf jede unangenehme Alltagssituation mit Ihrem kleinen Traum reagieren, und während Sie ihn später in die Tat umsetzen, wird die Dosis, die Sie brauchen, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen, größer und größer. Das passiert keineswegs sofort, und Ihre Dosis steigt auch keineswegs ständig, bisweilen liegen Jahre zwischen den zwei Gläsern und der ganzen Flasche Weißwein am Abend. Eines hässlichen Morgens wachen Sie dann auf und fühlen sich mies. Sie leiden unter so merkwürdigen Angstzuständen, so als hätten Sie die düstere Vorahnung, dass an diesem Tag etwas Schreckliches passieren würde. Es kann auch sein, dass Ihre Hände leicht zittern, aber das ist nicht verwunderlich, denn Sie haben ja diese Vorahnung. Selbst zu diesem Zeitpunkt und selbst mit diesen Symptomen ist man nicht zwangsläufig ein Alkoholiker. Man ist jedoch einwandfrei ein Mensch mit Alkoholproblemen…“
Womit beginnt also der Einstieg zur Sucht? Er beginnt mit der ersten Dosis des Suchtmittels, beim Alkohol also: mit dem ersten Glas. Das zu leugnen, ist die Logik des Suchtkranken. Es entspricht gerade der Logik des Suchtkranken zu behaupten, es handle sich um ganz normalen Konsum. Die Denkweise beim Genusstrinker ist also bereits die gleiche wie beim Süchtigen. Der Süchtige geht eben genau denselben Weg wie der Genusstrinker, nur ist er auf diesem Weg schon weiter fortgeschritten. Müsste nicht eine gesunde Logik zu der Frage gelangen: „Wenn es doch mein ganzer Stolz ist, aufhören zu können, wann ich will - warum tue ich es nicht?“
2.) Alkoholismus ist nicht eine zufällige Krankheit, sondern eine Frage des Lebensstils
Dies ist eine unmoderne Behauptung, denn die moderne Sichtweise in bezug auf die Gesundheit zielt immer darauf hin, der Mensch habe keine Verantwortung, und wer krank werde, sei ein bedauernswertes Opfer. Die Lebensreform nimmt jedoch den Menschen in die Pflicht und führt all die verschiedenen Zivilisations-Krankheiten auf unsere Zivilisations-Lebensweise zurück. Warum soll dies nicht auch für den Alkoholismus gelten?
In den Alkoholiker-Selbsthilfegruppen gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze, vertreten zum Beispiel durch die Anonymen Alkoholiker und die Guttempler. Bei den Anonymen Alkoholikern ist der Alkoholkonsum für „gesunde“ Menschen eine gute Sache. Nur für den Fall, dass man sich als alkoholkrank einstuft, wird die Abstinenz empfohlen, da ein kon trolliertes Trinkverhalten nicht mehr möglich sei. Durch die Abstinenz wird die Krankheit nicht geheilt, sondern lediglich zum Stillstand gebracht. Der Ansatz der Guttempler ist dagegen eine Umgestaltung der Gesellschaft hin zu einer Gesellschaft ohne Alkohol. Natürlich besteht auch ihre Hauptarbeit in der Lebenshilfe für die Suchtkranken. Doch schon im Ausrichten von gemeinsamen Feiern ohne Alkohol wird das ursprüngliche Anliegen der Guttempler-Bewegung sichtbar: Den Beweis anzutreten, dass ein Leben ohne Alkohol möglich und lebenswert ist.
Natürlich erfüllen die Anonymen Alkoholiker für die Betroffenen eine wichtige Aufgabe, und dass dieser Weg funktioniert, steht außer Zweifel.
Nur muss diese Sicht hinterfragt werden dürfen, dass gerade derjenige, der von einem Suchtmittel süchtig wird, es sei, der einen Defekt hat!!!???!!!
„Alkoholismus“ ist seit 1968 von der WHO (World Health Organisation) als eine Krankheit anerkannt und wird seit 1983 als eine „nicht selbst verschuldete“ Krankheit definiert. Hiermit wird der Alkoholismus in das gängige Krankheitsbild der Schulmedizin eingefügt: Krankheiten würden den Menschen zufällig treffen. Die Gene oder die Lebensumstände würden den Menschen in einen Zustand führen, für den er dann nichts könne. Eine Heilung gibt es nicht, darum wird lediglich nach einem Weg gesucht, mit der Krankheit zu leben. Das Gegenmodell ist das Krankheitsverständnis der Lebensreform. Dieses geht von der gesunden Lebensweise aus und stellt daher den betroffenen Menschen selbst in den Mittelpunkt seines Schicksals: Wer gesund lebt, bleibt gesund. Wer aus der gesunden Lebensweise herausfällt, wird krank. Durch die Rückkehr zur gesunden Lebensweise kann die Gesundheit wiedererlangt werden. Dieses Lebensverständnis stimmt überein mit dem Karma-Gesetz in den östlichen Religionen sowie dem „Was du säst, wirst du ernten“ im Christentum. Demnach sind auch Lebensumstände und Gene nicht zufällig, sondern erworben durch eigenes Denken, Reden und Handeln, wenn nicht in diesem Leben, dann in einem Vorleben. Und dabei prädestinieren Lebensumstände und Gene den Menschen nicht für ein unausweichliches Schicksal, sondern zeigen lediglich die Aufgaben und Lektionen auf, die in diesem Leben anstehen. Der tatsächliche Verlauf unseres Lebens und unserer Gesundheitsentwicklung ergibt sich daraus, wie wir diese Aufgaben und Lektionen bewältigen, was wir also aus unseren Lebensumständen und Genen machen.
Die Philosophie der Lebensreform gelangt übertragen auf den Alkoholismus zunächst einmal zu folgender Beobachtung: Wie auch immer die Lebensumstände und die Gene geartet sein mögen - wer alkoholabstinent lebt, wird sicher nicht alkoholkrank. Die Sicht vom Alkoholismus als einer den Menschen unverschuldet ereilenden Krankheit basiert auf einer Grundannahme, die üblicherweise nicht weiter hinterfragt wird: Der Konsum von Alkohol wäre das Normale. Und Abstinenz wäre nur das Gegenmittel für die Alkoholkrankheit, so wie Penicillin für die Syphilis. Die Idee von der gesunden Lebensweise als Basis der Gesundheit bedeutet, für die Lebensreform sind auch so genannte „unheilbare“ Krankheiten wie Arthrose, Multiple Sklerose, Neurodermitis, AIDS und Krebs heilbar - und ebenso der Alkoholismus. Nach dem Verständnis der Lebensreform bedeutet nämlich die Abstinenz in bezug auf Alkohol nicht nur einen „Stillstand der Krankheit“, sondern die Heilung. Die Idee, eine Heilung bestünde erst dann, wenn man wieder „normal“ trinken könne, geht von der unbewiesenen Auffassung aus, der Alkoholkonsum wäre das „Normale“, nicht die Abstinenz.
Wenn man nun nicht die Abstinenz als das „Normale“ betrachten will, als den „Urzustand“, als das „Naturgemäße“, so ist es doch zumindest die Aufgabe der Lebensreform, auf Eines hinzuweisen: Die Abstinenz ist in jedem Fall nicht nur der letzte Ausweg nach einer bedauerlichen Alkoholkarriere, sondern eine Alternative für Jedermann. Abstinenz ist eine Lebensform, ebenso wie der so genannte „normale“ Alkoholkonsum. Man kann sich darüber streiten, ob man wirklich in jeder Situation des Lebens die Wahl hat, welchen Weg man beschreitet. Ob Erfahrungen im Leben mit Alkohol vermeidlich oder unvermeidlich sein mögen, ist letztlich nicht von Belang. Die Möglichkeit, sich irgendwann einmal in seinem Leben für ein abstinentes Leben zu entscheiden, ist letztlich eine Frage des Bewusstseins. Und die Lebensreform vertritt die Auffassung, dass es nicht immer erst die Krankheit sein muss, die dem Menschen die Augen öffnet. Der Mensch kann beobachten, nachdenken und seine Schlüsse ziehen, auch ohne selber betroffen zu sein.
Aus meinem eigenen Leben möchte ich dazu etwas berichten: Ich kann nicht sagen, dass ich in meiner Kindheit und Jugend die Schule besonders gemocht habe. Aber ich erinnere mich heute noch mit Dankbarkeit an einen kurzen Film, der uns in der 5. oder 6. Klasse gezeigt wurde. Hunde in Einzelzwingern bekamen zwei Trinkschälchen hingestellt: eines mit Wasser und eine mit Alkohol gefüllt. Die Hunde hatten also die Wahl. Unter normalen Umständen wählten sie immer das Wasser und ließen den Alkohol stehen. Sobald man aber einen Hund mit einem gezielten kalten Luftstrom einem unberechenbaren Stress aussetzte, zog er den Alkohol vor. Für diese Lektion war ich bereits als Kind sehr dankbar, denn ich hatte Eines ganz unmittelbar aufgenommen: Der Bereitschaft zum Alkoholkonsum geht eine Störung des ursprünglichen gesunden Zustands voraus. Nach diesem Aha-Erlebnis war der Alkohol in meinem Leben nie besonders reizvoll gewesen. Es handelte sich in meinem Leben immer bloß um die Frage, inwieweit man sich den Konventionen der Gesellschaft anpassen solle. Nach verschiedenen Erfahrungen gelangte ich zu dem Schluss, dass ich angesichts des allgemeinen Elends um mich herum mich an eine solche Lebensweise nicht anpassen will.
Liegt nicht bereits dem „normalen“ Alkoholkonsum eine Verhaltensstörung zugrunde? Wenn es vielleicht bei Tieren adäquat sein soll, auf den „kalten Wind des Lebens“ mit der Neigung zum Alkohol zu reagieren, ist es das dann beim Menschen auch? Im Gegensatz zum Tier kann der Mensch erkennen, dass Alkohol die Probleme des Lebens weder löst noch erleichtert, sondern nur aufschiebt und vergrößert.
Die Selbstbelügung des Menschen fängt also mit dem ersten Glas an - und somit auch die Krankheit!
Abstinenz ist keine Spezialtherapie für Süchtige, sondern eine alternative Lebensform, die jedermann zur Verfügung steht.
In unserem Land gibt es mindestens 1,6 Millionen Alkoholkranke, von denen jedes Jahr etwa 40.000 an ihrer Krankheit und den unmittelbaren Folgeerkrankungen sterben. Alkoholkranke sind nur in der Abstinenz überhaupt überlebensfähig. Kann nicht allein die Solidarität zu den Alkoholkranken ein Grund sein, abstinent zu leben? - Oder sollte uns denn das Leiden und Sterben unserer Mitmenschen schon so egal geworden sein?
Nach der Definition des Lebensreformers bezeichnet „Alkoholismus“ nicht nur die Krankheit des Kontrollverlustes. Weitaus gefährlicher ist doch die Geisteskrankheit, trotz der Möglichkeit der Kontrolle freiwillig einen Krankheitserreger zu konsumieren, während wir unsere Mitmenschen daran zugrunde gehen sehen. Hier liegt eine bedenkliche Verhaltensstörung vor. Alkoholismus bezeichnet nach der Definition des Lebensreformers nicht nur die Krankheit, mit dem Trinken nicht aufhören zu können, sondern auch die Krankheit, mit dem Trinken überhaupt erst anzufangen.
Für oder gegen Alkohol ist letztlich die Entscheidung zwischen Krankheit und Gesundheit.
3.) Der spirituelle Weg ist eine Kurve
Eine Beobachtung nimmt Form an in einer These. Eine These nimmt Form an in einem Diagramm. Das obige Diagramm erhebt keinesfalls Anspruch auf unantastbare Richtigkeit. Es ist lediglich Ausdruck einer These, die auf persönlicher Wahrnehmung beruht. Andere Modelle und Gegenthesen sind herzlich willkommen.
Der spirituelle Weg ist eine Kurve. Und zwar sowohl der spirituelle Weg nach oben als auch der spirituelle Weg nach unten. Das bedeutet, zwischen dem Leben des Lebensreformers und des Weltmenschen ist über sehr lange Zeiträume kein großer Unterschied erkennbar. Sie verlaufen sehr nahe einer „Nullinie“, einem Zustand, der sowohl vom Himmel als auch von der Hölle sehr weit entfernt zu sein scheint. Der gottzugewandte und gesundheitsbewusste Mensch mag sich abmühen und einer reinen und naturgemäßen Lebensweise zustreben. Dennoch gelingt es ihm nicht, seine Laster und Begierden zu überwinden. Auch die körperlichen Nöte und Krankheiten bleiben ihm nicht erspart. Der Weltmensch fragt völlig verständlich danach, was denn dem Lebensreformer sein Gesundheitsweg, seine Entbehrungen und seine Anstrengungen bringen. Was bringt dem Lebensreformer seine Religion? Scheint er doch Gott keinen Millimeter näher zu kommen! Währenddessen kann der Weltmensch unter Umständen über mehrere Jahrzehnte seinen schädlichen Gewohnheiten folgen und gegen göttliche Gesetze verstoßen, ohne von den schmerzhaften Folgen seines Denkens und Handelns berührt zu werden. Er genießt seine diversen Laster und muss entgegen den Warnungen des Lebensreformers weder Krankheiten noch Schicksalsschläge erdulden. So hält er die Lehren der Lebensreform für blanken Unfug und schenkt ihnen keinerlei Aufmerksamkeit. So geht es unter Umständen über mehrere Jahrzehnte, oder sogar über mehrere Inkarnationen.
Doch wenn der Lebensreformer seinen Überzeugungen treu bleibt und gemäß seinem Herzen handelt, obwohl es ihm zunächst keinen sichtbaren Lohn bringt, dann tritt eine Phase in seinem Leben ein, wo sein Weg steiler und steiler nach oben führt. Auf einmal geht es ganz leicht, seine alten Laster und Gewohnheiten zu überwinden. Sie fallen von ihm ab wie eine Schicht von Dreck, die eingetrocknet ist und auf einmal zu Staub zerfällt. Ebenso fallen die Krankheiten und Beschwerden von ihm ab.
Auf einmal spürt er einen Zuwachs an Kraft und Gesundheit, wie er ihn nie zuvor in seinem Leben erlebt hat. All seine Lebensumstände gestalten sich innerhalb kurzer Zeit auf wunderbare Weise neu - es tun sich Türen auf und eröffnen sich Fähigkeiten, die bis dahin verborgen waren.
Viele Menschen denken, hier haben wir eben ein Glückskind, einen „Naturburschen“ oder einen „Heiligen“. Aber dass es sich um einen normalen Menschen handelt, der lange Zeit nahe der Nulllinie seine Prüfungen zu bestehen hatte, sehen nur die Wenigsten. Der Weltmensch hingegen, der unausgesetzt die Mahnungen der Lebensreform in den Wind schlägt und weiter seinen schädlichen Gewohnheiten folgt, gelangt in eine Lebensphase, wo er auf einmal immer mehr Beschwerden und Krankheiten erfährt. Er leidet unter Bluthochdruck oder Kopfschmerzen, er bekommt Diabetes oder Multiple Sklerose. Mit den Mitteln der Schulmedizin versucht er, seine Beschwerden in den Griff zu bekommen. Aber er muss feststellen, dass er dadurch der Gesundheit nicht näher kommt. Viele Menschen denken, was hat dieser Mensch nur für ein Pech, dass gerade er ein Rheumatiker oder Asthmatiker geworden ist. Dass aber dieser Kranke über lange Zeit ebenso wie die Meisten nahe der Nulllinie gelebt hat, aber auf der falschen Seite, und seinen schädlichen Gewohnheiten gefolgt ist, sehen nur die Wenigsten.
Der Weg nach unten kann auch zum Weg des Verbrechers führen. Und wenn wir dann einen Menschenausbeuter oder Despoten oder Mörder vor uns haben, so fällt es uns leicht zu urteilen und zu sagen: „Dies hier ist ein böser Mensch!“ Dabei wird aber nur allzu oft vergessen, dass der Weg zum Bösen nahe der Nulllinie begann. Das heißt, er begann mit den vielen kleinen Vergehen des Alltags, mit Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr, mit Neidgedanken, mit kleinen Gehässigkeiten und Verwünschungen - also mit den vielen kleinen Vergehen, von denen sich kein Mensch so ganz freisprechen kann.
Die Frage ist nur: Wie entscheiden wir uns?
Erkennen wir uns selbst und erkennen wir das Destruktive unseres Denkens und Handelns? Wollen wir unsere Ich-bezogenen Machtspielchen nach und nach ablegen und ein liebevolles Miteinander anstreben? - Oder lassen wir unsere kleinen Ich-bezogenen Machtspielchen anwachsen und sich aufblähen zu den späteren Monströsitäten des Verbrechens? Diese Entscheidung fällt ganz früh, im ganz normalen gesellschaftlichen Leben, und setzt sich zusammen aus den vielen kleinen Entscheidungen des Alltags.
Folgendes ist auch eine Schlussfolgerung aus der These:
„Der spirituelle Weg ist eine Kurve“:
In der frühen Phase ist ein Wechsel zwischen dem Weg zum Licht und dem Weg zur Finsternis sehr leicht möglich und geschieht womöglich sogar mehrmals am Tag. Irgendwann kommt die Entscheidung, ein Gesundköstler, ein Jünger Christi, ein guter und erfolgreicher Mensch zu werden - wie auch immer die Formen der Lebensreform heißen mögen. Dann verwandelt sich das, was vorher noch ein Genussmittel war zu einer Versuchung, aus einem Beweis der eigenen Stärke wird eine Unterdrückung des Nächsten, aus einem Ausdruck der Freiheit eine Verletzung der Gebote. Die Sichtweise hat sich gewandelt. Aber die Macht der Versuchungen bleibt noch so stark und die Macht des Guten bleibt noch so schwach, dass der Fall auf die „dunkle Seite des Weges“ nicht leicht zu verhindern ist und noch öfter vorkommen mag. Da jedoch in dieser Phase auch die negativen Folgen noch nicht so stark und unmittelbar über einen hereinbrechen, bleibt immer noch genügend Kraft und Gelegenheit, den Weg zum Licht und zur Gesundheit wieder aufzunehmen. In einer späteren Phase aber entfernen sich der Weg zum Licht und der Weg zur Finsternis voneinander, so dass ein Wechsel immer schwerer und unwahrscheinlicher wird: Sowohl Versuchungen als auch Krankheiten berühren den Lebensreformer immer weniger, sein Weg führt immer erkennbarer zu Gesundheit und Erfolg. Dem Weltmenschen fällt es aber immer schwerer, die verlorengegangene Gesundheit wiederzugewinnen. Und dem Ego-Menschen fällt es immer schwerer, die Wege des Bösen wieder zu verlassen und zum rechten Weg zurückzufinden.
Übertragen wir die These „Der spirituelle Weg ist eine Kurve“ auf den Alkoholkonsum. Die bisherige Sichtweise in der Alkoholtherapie ist: Der Mensch muss erst tief genug gefallen sein, ehe er den Weg der Abstinenz einschlägt. Nicht zu leugnen aber ist: Je früher sich ein Mensch für den Weg der Abstinenz entscheidet, desto leichter wird es ihm fallen, vom Weg des Alkoholkonsums dorthin zu wechseln. Er erspart sich kostbare Lebenszeit und Gesundheitskraft. Der Weg der Abstinenz und der Weg des Alkoholkonsums scheinen sich in der frühen Phase nicht sehr voneinander zu unterscheiden: Der Abstinenzler erfährt noch keine bedeutenden gesundheitlichen Vorteile. Der Alkoholkonsument erfährt weder einen Suchtdruck noch körperliche Beschwerden, noch wird er sozial auffällig. Warum also auf Alkohol verzichten? Warum also abstinent leben? - Die Antwort liegt in dem größeren Blickwinkel, die Antwort liegt in der Sicht auf den gesamten Kurvenverlauf. Der Weg des Alkoholkonsums führt nach unten, der Weg der Abstinenz führt nach oben. Zuerst ist es unmerklich, aber im späteren Kurvenverlauf entfernen sich beide Weg weit voneinander. Ein Anzeichen dafür ist, dass es für einen kurzzeitigen Abstinenzler etwas Normales sein mag, bei einem gesellschaftlichen Anlass ein Glas Alkohol mitzutrinken und dies keine weiteren Auswirkungen auf sein Leben haben mag. Ein langjähriger Abstinenzler aber erlebt den Alkohol als etwas Fremdartiges, was von seinem Körper abgestoßen wird. Er empfindet einen Widerwillen, der es ihm verbietet, mehr also nur seine Lippen zu benetzen und ein paar Tropfen auf der Zunge zu spüren. Mehr als einen kleinen Schluck davon zu nehmen, käme ihm vor, wie die Finsternis selbst einzulassen und das bisher auf dem Gesundheitsweg Erreichte aufs Spiel zu setzen. Es ist für ihn eine Berührung mit einer anderen Welt, der die Türen zu öffnen er eine Abneigung verspürt. Sein Weg nach oben führt ihn in eine Richtung, die dem entgegengesetzt ist.
Ich möchte hier noch einen weiteren Aspekt des spirituellen Weges ansprechen: Gemäß unserem Leben und Denken ziehen wir Seelen an. Gute oder böse Geister geleiten oder verführen uns.
Der Alkohol ist natürlich weder vom Teufel noch das Böse, aber der Alkohol ist das Einfallstor für das Böse.
Den finsteren Dämonen ist es bei einem alkoholisierten Menschen leicht gemacht, ihn zu verführen und ihn zu Gedanken, Worten und Taten zu bewegen, deren er sich in nüchternem Zustand schämen wird. Im späteren Kurvenverlauf auf dem Weg des Alkoholkonsums gewinnen die finsteren Seelen immer mehr an Einfluss über den Alkoholkonsumenten. Somit fällt es ihm immer schwerer, sich ihnen zu entziehen und sein Leben wieder in eigener Regie zu ordnen. In der frühen Phase des „Genusstrinkens“ lacht der Alkoholkonsument vielleicht noch über den Einfluss finsterer Seelen. Einen Schwips findet er lustig, und die einzigen üblen Folgen eines Vollrausches sind ein Kater und eventuell „ein paar Worte zuviel“. Aber mit finsteren Seelen habe dies doch nichts zu tun. Im späteren Verlauf gehen unter dem Einfluss der finsteren Seelen Beziehungen und soziale Strukturen zugrunde. Der Einfluss der Dämonen wird immer mächtiger und führt dahin, dass sie den Trinker nicht nur im alkoholisierten Zustand beeinflussen, sondern dass sie ihn auch ständig zum Weitertrinken animieren.
Währenddessen erfreut sich der Lebensreformer immer intensiver des Beistands der lichten geistigen Welt, die sein Leben auf immer höhere geistige Ebenen führt.
Die Wege des Abstinenzlers und des Alkoholkonsumenten führen auseinander. Deshalb ist es notwendig, sich für den einen oder den anderen Weg zu entscheiden.
4.) Abstinenz - ein Aspekt der christlichen Lebensweise
„Die ‚Southern Baptist Convention’ hatte sich schon mehrmals in ihrer Geschichte gegen Alkoholkonsum ausgesprochen. Auch andere US-Kirchen fordern ihre Mitglieder zur Abstinenz auf, darunter die Mormonen, die Adventisten sowie charismatisch orientierte Kirchen. (…) Nach einer Studie des US-Agrarministeriums trinkt etwa ein Drittel der Amerikaner keinen Alkohol.“
Carl Anders Skriver beschreibt in seinem gleichnamigen Buch „Die Lebensweise Jesu und der ersten Christen“ (Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, 1988).
Jesus soll zwar Wasser in „Wein“ verwandelt haben und beim Abendmahl „Wein“ getrunken haben, jedoch wissen wir wirklich, was mit dem Wort „Wein“ gemeint ist? Wenn es sich nicht einfach um unvergorenen Traubensaft gehandelt hat, dann zumindest um einen stark verdünnten „Wein“, wie er im damaligen jüdischen Kulturkreis üblich war. Das spirituelle Umfeld Jesu lebte abstinent von Fleisch und Alkohol. Soweit Carl Anders Skriver.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zwischen Fleisch und Alkohol eine gewisse Affinität besteht. Alkohol trägt zur besseren Verträglichkeit des Fleischkonsums bei. Dies führt bei Fleischkonsumenten zu einer Affinität zum Alkoholkonsum. Alkohol spaltet die gefährliche Harnsäure auf und vermag die schädlichen Folgen des Fleischkonsums von daher einzuschränken, wobei der Alkoholkonsum aber selber wieder zu gesundheitlichen Schädigungen führt.
Das spirituelle Umfeld Jesu lebte abstinent von Fleisch und Alkohol. Das betrifft sowohl seine Vorläufer - wie den Essäer-Orden, dem er höchstwahrscheinlich entstammt, und Johannes, den Täufer, als auch seine unmittelbaren Nachfolger - die urchristlichen Gemeinschaften in den Anfängen, wie die Gruppierung um Jakobus, den Gerechten, als auch spätere urchristliche Gemeinschaften wie die Albigenser, Katharer und Waldenser. Dass Jesus im Bewusstsein der bevorstehenden Kreuzigung das Bedürfnis verspürt haben soll, noch einmal mit seinen Jüngern in einem Lokal einen „Schoppen“ trinken zu gehen, ist eine absurde Vorstellung, die vielleicht noch verzeihlich ist. Unsere heutige Christenheit wurde in die Richtung indoktriniert, die „Heilige Schrift“ unter Androhung der Verdammnis Wort für Wort als bare Münze zu nehmen. Sie meint weder sich in eine Situation einfühlen noch den Sinn erfassen zu dürfen. Dass aber Menschen, die sich als „aktive Christen“ bezeichnen, dennoch Alkohol konsumieren oder verkaufen, wie kann man dies verstehen? Denn schließlich kämpft der so genannte Alkoholkranke, der trocken werden will, einen Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen den Versuchungen und seinen guten Vorsätzen. Die Christen aber, die selber den Alkoholkonsum betreiben und sogar rituell zelebrieren – begeben sie sich nicht auf die Seite der Versucher? Sollten nicht gerade die Christen diejenigen sein, die ihre Mitmenschen auf den lichten Weg führen und sie in ihren guten Vorsätzen bestärken?
Christsein und Alkoholkonsum stehen im Widerspruch zueinander, und wer etwas Anderes glaubt, möge es logisch beweisen!
„Johannes (der Täufer) bleibt bei Lazarus und seinen Schwestern während kurzer Zeit. Zu seinen Ehren wird ein Fest gegeben, und die Gäste sind versammelt. Nach der Sitte füllt der Bürgermeister Wein in einen Becher, und als Gruß entbietet er ihn dem Johannes. Dieser hält den Becher hoch empor und sagt:
‚Der Wein erfreut des Menschen Herz, doch traurig stimmt er seine Seele.
Er ertränkt des Menschen Geist in Bitternis und Galle.
Nazars Eid schwur ich als Knabe.
Seither floß kein Tropfen Weines über meine Lippen.
Wer den König liebt, der meide jeden Tropfen Wein wie Gift.’
Nach diesen Worten schüttet er den vollen Becher auf die Straße aus.“
(Levi H. Dowling, „Das Wassermann-Evangelium von Jesus, dem Christus“, erschienen 1908, 1. Auflage als Taschenbuch im Schirner Verlag, Darmstadt, 2004, Seite 160)