Die kirchliche Lehre vom „lieben“ Gott ist nach der Ansicht
vieler Menschen unvollständig, Gott sei „mehr“, er umfasse Gut und Böse, Licht
und Schatten. Ich glaube, die Auffassung von Gott als einem „lieben“ Gott ist
durchaus vollständig, nur wird diese Idee von den Kirchen nicht zuendegedacht.
Rüdiger Dahlke spricht in einem Vortrag von 2013 zur
Eröffnung eines Esoterik-Kongresses über die Schicksalsgesetze – „die
Spielregeln des Lebens“. Er spricht von einer „Hierarchie der Gesetzmäßigkeiten“,
welche dazu führt, dass die Affirmationen der Lichtarbeiter meistens zum
Scheitern verurteilt sind. Denn über dem Gesetz der Resonanz steht das Gesetz
der Polarität. Die Lichtarbeiter kümmern sich intensiv um das Licht – was ja
nicht schlecht ist. Aber solange sie nicht ihren eigenen Schatten aufarbeiten,
können sie keinen Erfolg haben. In jedem Fall ein fulminanter Vortrag –
unbedingt sehens- und hörenswert!
In einem Punkt stimme ich nicht überein: Dahlke
diskreditiert die Idee vom „lieben Gott“, die die Kirchen verbreiten.
Er meint, der wahre Gott müsse ein Gott sein, der beides
umfasst, Licht und Schatten (eine Idee, die Hermann Hesse im Demian als den
Gott „Abraxas“ beschrieben hat). Dahlke erläutert, die anderen
Erklärungsversuche der Existenz des Teufels haben ihn nicht überzeugt, unter
anderem die Erklärung der Kirchen, Gott habe den Teufel erschaffen, aber „dabei
noch nicht so recht gewusst, was draus wird“. Lach, lach – das Publikum
quittiert diese Bemerkung unkommentiert mit dem sonst durchaus angebrachten
Gelächter, der Vortrag ist ansonsten durchaus amüsant. Aber hier denkt Dahlke
nach meiner Auffassung zu kurz: Die Idee, dass Gott gut sei und alle Wesen
erschaffen habe – mag sich vielleicht sehr einfach anhören und sehr fantastisch
– aber sie verdient es, ernsthaft geprüft zu werden, wie alle anderen
Erklärungsmodelle der Schöpfung auch.
Hier das Erklärungsmodell des guten Gottes, mal
zuendegedacht (wie es weder die Kirchen noch das Publikum noch Rüdiger Dahlke
getan haben):
Ein guter Gott hat eine vollkommene Schöpfung erschaffen mit
vollkommenen Wesen darin. Da die Kinder Gottes alle ohne Ausnahme nach dem
Bilde Gottes erschaffen wurden, sind alle Kinder Gottes ihrem Wesen nach ebenso
gut und vollkommen. Der einzige Grund, weshalb diese wunderbare Schöpfung
dennoch ein äußerst riskantes Unterfangen war: Gott hat allen seinen Kindern
den freien Willen gegeben. Dieser freie Wille beinhaltete auch die Möglichkeit,
sich gegen Gott zu wenden, seine Vormachtstellung infrage zu stellen und nach
Möglichkeit zu hintertreiben, zu sabotieren und offen zu bekämpfen. Es ist
eingetreten, dass es Kinder Gottes gab, die auf die Idee kamen, dass sie ja als
Ebenbilder Gottes ebenso alle Qualitäten des Schöpfers in sich trugen und dass
sie aus diesem Grund ja ebenso die Berechtigung haben könnten, die
Vormachtstellung über die Schöpfung an sich zu reißen. Dabei gibt es nicht „den“
Teufel, außer als eine Allegorie auf das Böse. Satana, das Geistdual Gottes,
hatte zuerst die Idee, sich gegen den Schöpfer zu wenden. Luzifer, der
Lichtträger, der zweitgeborene Sohn Gottes, schloss sich ihr an. Sie betrieben
den Plan, Gott zu stürzen, sie verursachten für einen Teil der Schöpfung den „Fall“,
die Herabtransformation vom Geistigen in das Materielle. Damit brachten sie
sehr viel Leid über sehr viele Kinder Gottes – nicht über alle, denn es gibt durchaus
Kinder Gottes, die sich niemals in das Materielle inkarniert haben und auch als
geistige Wesen dem Schöpfer treu geblieben sind.
Gott HAT also „den Teufel“ erschaffen – als wunderbare,
wunderschöne, edle und gute Kinder des Allerhöchsten. Und Gott WUSSTE NICHT,
was draus wird, denn Gott hat ja allen seinen Kindern den freien Willen
gegeben. Vielleicht hat Gott auch die Rebellion gegen seine Herrschaft – „den
Fall“ – vorausgesehen. Aber Gott hat den Fall NICHT GEWOLLT, der Schatten ist
nicht Teil seines Wesens. Er hat den Fall zugelassen, weil er seinen Kindern den freien Willen gab, er hat ihn nicht gewollt. Zwischen Zulassen und Selber-Wollen ist ein Unterschied! Da Gott aber allgegenwärtig und allmächtig ist, wird
in jedem seiner Kinder wieder das Licht durchbrechen. Das heißt, auch noch der
finsterste Teufel wird wieder zu seiner göttlichen Natur erwachen und wird
wieder in die lichten Reiche der Himmel eingehen. Die Lehre vom allmächtigen
und „lieben“ Gott ist also nur in sich stimmig, wenn man die Idee von einer
ewigen Verdammnis streicht. Die Idee vom „lieben“ Gott kann nur dann aufrechterhalten
werden, wenn man das Fazit mit einbezieht, dass alle seine Kinder – auch die
finstersten und gefallensten – wieder zu Gott und in die himmlischen Reiche
zurückkehren.
Natürlich steht Gott an sich über Gut und Böse – jenseits
von Gut und Böse. Aber in dieser Erhabenheit seines allumfassenden Wesens
können wir ihn erst wieder betrachten, wenn wir wieder zu Gott zurückgefunden
haben. Bis dahin bleibt das Gute das, was uns Gott näherführt, und das Schlechte
das, was uns von Gott trennt.
Natürlich hat jeder das Recht, den Glauben für sich anders
zu definieren oder zumindest ein anderes Gottesbild für möglich zu erachten.
Doch dann muss er sich folgenden Fragen stellen:
-
Muss ein Gott, der Licht und Schatten sein soll,
nicht auch das Leiden der Menschen GEWOLLT haben? Wie soll man sich einem
solchen Gott anvertrauen?
-
Wozu soll der Mensch seine Schatten erkennen (nach
christlicher Ausdrucksweise „den Balken im eigenen Auge“), wenn nicht, um sie
abzulegen?
-
Warum sollte der Mensch seine Schatten ablegen,
wenn nicht, weil sein wahres Wesen Licht ist – so wie Gottes wahres Wesen Licht
ist?
Mehr zu den Themen einer urchristlichen Kosmologie und Glaubenslehre unter: