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(09.08.2012)



Eine persönliche Positionierung


 
Hermann Hesse war das Idol meiner Jugend. Etwa von 13 bis 23 habe ich mich mehrfach durch das gesamte Werk dieses großen deutschen Dichters hindurchgearbeitet. Noch heute steht er für mich wie ein Solitär in der literarischen Landschaft, ohne Vorbild, ohne echte Nachfolger. Von manchen Kritikern wird der Literatur-Nobelpreisträger von 1946 gar nicht als ein echter Literat gewertet. Sein lyrisches Werk unbedeutsam und kaum strengen Formkriterien entsprechend. Sein Romanwerk wird von „echten“ Literaten verworfen: Keine unabhängigen Handlungsstränge, die verknüpft werden, keine Bemühung um eine Komposition, die die Bezeichnung „Roman“ verdienen würde…
- Das  ficht den echten Hesse-Fan natürlich nicht im Mindesten an. Seine spirituellen Ich-Erzählungen, egal ob in der ersten oder der dritten Person geschrieben, spiegeln die Gefühle, Hoffnungen und Konflikte des individualisierten Menschen, des Menschen, der erstaunend im Begriffe steht, den Sinn seines Lebens in sich selbst zu entdecken. Dieser „Eigensinn“, den er in einem gleichnamigen Artikel beschrieb, war eine Grundmelodie seines Werkes.

Als ich in der christlichen Gemeinschaft, die für meinen Glauben maßgeblich wurde, vernahm, dass der Menschen seinen Eigensinn mehr und mehr ablegen sollte, konnte ich dagegenhalten. Durch Hermann Hesse wusste ich um die wahre Bedeutung des Eigensinns und wunderte mich um die Ungebildetheit jener, die mir den wahren Glauben erklären wollten, wie sie ihn aus den göttlichen Durchgaben der Jetztzeit verstanden hatten. Natürlich verstand ich, dass in religiösem Sinn der Mensch seinen Eigenwillen mehr und mehr in den Willen Gottes legen sollte. Aber durch Hermann Hesse hatte ich auch begriffen, dass der Eigensinn in positivem Sinn etwas unendlich Kostbares ist. Z.B. kann die Kraft und der Mut für eine Wehrdienstverweigerung nur durch einen starken Eigensinn aufgebracht werden. Nur durch die Wendung nach innen gelangt der Mensch in die Position, wo er nicht mehr von äußeren Kräften wahllos lenkbar ist. Nur durch einen starken Eigensinn ist also die konsequente Befolgung des göttlichen Willens überhaupt möglich. Jesus von Nazareth ist das beste Beispiel für einen im positiven Sinn eigensinnigen Menschen. So hat mich Hermann Hesse vor den Gefahren einer starken Gemeinschaft bewahrt. Er hat mich davor bewahrt, trotz der Begeisterung für eine junge starke Bewegung mich selbst zu verlieren. Hermann Hesse hat mich gelehrt, im Bund der Morgenlandfahrer den Fokus zu halten auf mein ganz persönliches Ziel, auf meine ganz persönliche „Fatima“. So steht Hermann Hesse für mich für die Stimme des Herzens, die so viel mehr Wahrheit enthält als alle vorgegebenen religiösen Bekenntnisse.

Hermann Hesse hat in meinem Leben eine sehr zentrale Bedeutung. Das spiegelt sich auch darin, dass ich keinen anderen Dichter so umfassend studiert habe. Er schrieb sinngemäß in Beantwortung eines Leserbriefes:

Der Leser ist einseitig, wenn er nur einen Autor gelesen hat.

Aber ich habe noch mehr Autoren gelesen, und zwar genau so gründlich. Es sind eben nur keine Dichter. Ich nenne hier Carlos Castaneda, Are Waerland, Paramahansa Yogananda und Jan van Helsing. Also keine Dichter, eher Sachbuchautoren.

Für mich stand im Vordergrund immer das Interesse am Buch an sich, nicht speziell das Interesse an Dichtung und künstlerischer Literatur. Das Buch sollte mein Wissen und meinen Horizont erweitern, nicht einschränken. Ich war und bin nicht nur literarisch, sondern auch politisch, wissenschaftlich und spirituell interessiert. Ich strebe, ohne mich mit ihm vergleichen zu wollen, nach dem Ideal eines Universalgelehrten im Sinne von Goethe. In dieser fortschreitenden Erweiterung meines Horizonts erkannte ich leider auch mehr und mehr die blinden Flecken meines Idols Hermann Hesse. Das war eine teils schmerzhafte, teils zur Überheblichkeit verleitende Leseerfahrung.

Hier die zwei für mich gravierendsten Punkte:

In der Erzählung „Dr. Knölges Ende“ verarbeitet Hermann Hesse seinen Abschied vom Vegetarismus. Er schildert darin den konsequenten Vegetarismus als ein „Zurück auf die Bäume“. Ein idiotisches Klischee, gegen das anzukämpfen noch heute eine Herausforderung ist, und an dem Hermann Hesse mitgebaut hat. In der Begegnung mit Gusto Gräser erlebte Hermann Hesse den Vegetarismus als eine Abkehr von jeder Zivilisation. Er besaß nicht die Eigenständigkeit, den Vegetarismus mit einer vernünftigen Kultiviertheit des menschlichen Lebens zu verbinden. Später soll er auch die Klinik auf dem Zürichberg von Dr. Bircher-Benner kennengelernt haben. Es ist für mich sehr enttäuschend, dass weder die Lehren Bircher-Benners noch Bircher-Benner selber als Person, dem er durchaus begegnet sein könnte, irgend einen Eindruck auf ihn gehabt haben. Niemals hat er mit einer Silbe die Grundtendenz seiner in jungen Jahren verfassten Erzählung zurückgenommen. Seine Altersbeschwerden, die typische Fleischesser-Krankheiten waren, haben ihn nicht dazu geführt, seine frühere Ablehnung des Vegetarismus zumindest theoretisch zu überdenken.

Ein anderes Rätsel seines Lebens betrifft seine erste Frau Maria Bernoulli, Mutter seiner drei Söhne. Sie war neun Jahre älter als er und hat ihn um ein Jahr überlebt. Als er feststellte, dass sie psychisch krank wurde, war sie für ihn erledigt, und er hat sich nach einer neuen Partnerschaft umgeschaut. Das ist durchaus legitim. Aber dass er anscheinend nicht das mindeste Interesse dafür zeigte, wie die Mutter seiner drei Söhne in der Psychiatrie behandelt wurde, ist für mich mehr als enttäuschend. Nirgends ist auch nur der kleinste Hinweis darauf, dass er es einmal versucht hätte, sie in der Psychiatrie zu besuchen, geschweige denn, sie daraus zu befreien. Es darf stark angenommen werden, dass mindestens einer seiner drei Söhne einmal seine Mutter besucht hat, um das Rätsel um ihr Schicksal und um ihren Verbleib zu ergründen. Wird er nicht seinem Vater Hermann Hesse davon berichtet haben? Entweder also hat Hermann Hesse seine Anteilnahme und Fürsorge für seine Ex-Frau aus Bescheidenheit geschickt versteckt – oder aber, was wahrscheinlicher ist, ihn hat die Frage nach dem Verbleib der Mutter seiner drei Söhne gar nicht interessiert.
Natürlich kann man anführen, dass Hermann Hesse vom Demian bis zum Steppenwolf genug damit zu tun hatte, seine eigene Seele vor dem Wahnsinn zu bewahren. Natürlich kann man anführen, dass der Besuch einer Psychiatrie für Hermann Hesses persönliches Interesse keinerlei literarische Verwertbarkeit besaß, obwohl man das auch aus literarischer Sicht durchaus anders bewerten kann. Ich persönlich erwarte von einem Literatur-Nobelpreisträger, dass er nicht nur literarisch, sondern auch menschlich zu leuchten vermag. In diesem Punkt des Verhältnisses zu seiner ersten Frau empfinde ich ein unbegreifliches menschliches Versagen. Vielleicht besteht hier ein Zusammenhang mit dem frühen Tod seiner eigenen Mutter. Vielleicht hatte er den Schmerz darüber nie wirklich verarbeitet, sondern nur verdrängt. Er hatte gelernt, das Verschwinden seiner eigenen Mutter zu akzeptieren. Genau so akzeptierte er fraglos das Verschwinden der Mutter seiner drei Söhne in den Fängen der Psychiatrie. Ein Interesse, ein Nachfragen hätte vielleicht Wunden aufgerissen, die nur vernarbt, aber nie wirklich verheilt waren. Vielleicht erschien es ihm aufgrund seines eigenen Schicksals als ganz normal, dass ein Mann in jungen Jahren seine Mutter unwiederbringlich verliert. Ich meine aber, er hätte zumindest seinen drei Söhnen zuliebe ein Interesse an ihrem Verbleib aufbringen sollen. Das ist mein Empfinden, das ich äußern möchte. Gleichwohl bin ich mir durchaus bewusst, dass mir als Außenstehender ein Urteil darüber keinesfalls zusteht.

Ich erlebte mit Hermann Hesse den gleichen Prozess wie bei meinem eigenen Vater, mit den drei Stufen: Bewunderung, Enttäuschung und Versöhnung. In der Versöhnung erkenne ich, dass sowohl mein Vater als auch Hermann Hesse ihrem persönlichen Ruf des Schicksals gefolgt sind. Sowohl mein Vater als auch Hermann Hesse sind sich in einer Weise treu geblieben und haben für sich eine Vision des Lebens, einen Klang der göttlichen Symphonie errungen, wie ich es mir für mich nur wünschen kann.

Als einen unselbständigen Nachahmer habe ich mich als Hesse-Jünger nie empfunden, und empfinde ich mich auch im Rückblick nicht. Denn Hermann Hesse war für mich immer eine Stimme, die meine Eigenständigkeit gestärkt hat, auch wenn ich manche Attitüde im Leben und im Schreiben übernommen und wieder abgelegt habe. Heute, wo ich sowohl seine als auch meine eigene Fehlerhaftigkeit durchlitten und ein Stück weit verarbeitet und akzeptiert habe, empfinde ich ein Verhältnis zu ihm, das mich eine noch größere Nähe empfinden lässt:
eine Verbrüderung mit einem älteren Bruder.

Hermann Hesses Werk hat es verdient, noch mehr Generationen junger Menschen zu verhelfen, zu sich selbst zu finden – durch Ermutigung und Vision, durch eine Einführung in die Welten des Geistes, aber auch durch das Abarbeiten an seinem Werk und seiner Person, das Widerspruch, Distanzierung und Versöhnung beinhaltet.

Hermann Hesses Weg, wie fehlerhaft und unzureichend er auch immer gewesen sein mag, hat ihn in einem unnachahmlichen Eigensinn dahin geführt, zu sich selbst zu finden. Dadurch bleibt er ein seltenes und wertvolles Vorbild für nachfolgende Generationen.



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