Ein wichtiges Buch zum tieferen Verständnis des Islam. Es
sollte heute allen Moslems, Christen und Atheisten dringend ans Herz gelegt
werden. Es zeichnet das Bild von einem friedliebenden und toleranten Islam,
dessen wichtigste Botschaft die Barmherzigkeit ist. Das ist das Attribut, mit
dem Gott im Koran am häufigsten in Verbindung gebracht wird. Wie Khorchide
belegen und erläutern kann – nicht zufällig. Gott wird im Koran als der „Allerbarmer“
dargestellt, dessen Wunsch an den Menschen ist, sich seiner Barmherzigkeit
anzuschließen, zu einem toleranten, vergebenden Gläubigen zu werden, der Gott
in allen Menschen dient. Dieser Transformationsprozess ist es, der den Menschen
in die Vollkommenheit führt und der die zentrale Intention der koranischen
Botschaft ist.
Durch sein
barmherziges Handeln bezeugt der Mensch die Barmherzigkeit Gottes und lässt sie
Wirklichkeit werden. Er verkündet durch eine unterschiedslos allen Menschen
zugewandte Barmherzigkeit die universale Barmherzigkeit Gottes. Der Mensch ist
zum barmherzigen Handeln hier und jetzt aufgefordert; sein Handeln ist eine
notwendige Antwort auf die erfahrene Barmherzigkeit Gottes. Eine Verweigerung
der Barmherzigkeit gegenüber anderen ist ein Selbstausschluss aus Gottes
Barmherzigkeit, ein Nein zu Gottes Barmherzigkeit. Die Liebe des Menschen zu
Gott muss sich in der tätigen Barmherzigkeit in der Gesellschaft ausdrücken.
Diese Berufung zur zwischenmenschlichen Barmherzigkeit stellt den Kern des
islamischen Ethos dar. (Seite 112)
Khorchide beschreibt in der Einführung seinen eigenen
Hintergrund, der ihm geholfen hat, zu dieser Haltung zu finden. Aufgewachsen
zunächst im liberalen Libanon, wo er eine tiefe Religiosität erlebte, die mit
großer religiöser Toleranz gepaart war. Sein Vater, obwohl aus einem
islamischen Elternhaus stammend, ist in eine christliche Schule gegangen, weil
die Qualität der Schule und nicht das Gebetbuch für die Auswahl der Schule
maßgeblich war. Zu dieser Zeit konnten auch Schiiten und Sunniten miteinander
heiraten. Selber erlebte Khorchide noch in seiner Kindheit das friedliche
Miteinander der verschiedenen Religionen und islamischen Schulen. Als sein
Vater mit der Familie nach Saudi-Arabien ging, erlebte Khorchide das genaue
Gegenteil – eine durch religiösen Dogmatismus unterdrückte Gesellschaft. Durch
sein Elternhaus geprägt hat er sich aber die liberale Auffassung erhalten.
Heute wird ihm sein Anspruch von manchen Moslems
vorgeworfen, einen modernen Islam zu entwerfen. Viele Moslems denken so, man
brauche keine „moderne Religion“, sondern man wolle sich an dem "wahren"
zeitlosen Islam halten. Doch hier liegt ein Missverständnis vor, das Khorchide
leider mit dem Untertitel selber unterstützt. Ihm geht es gar nicht um die Erschaffung einer modernen Religion, sondern
darum, die ursprüngliche Botschaft des Koran herauszuarbeiten. Khorchide
befreit diese ursprüngliche Botschaft nicht nur von den modernen
Fehlinterpretationen, sondern auch von den restriktiven dogmatischen
Auslegungen fanatischer Schriftgelehrter früherer Jahrhunderte, auf die sich im
islamischen Milieu leider noch immer berufen wird.
Die Aussagen, zu denen Khorchide dabei gelangt, sind
grandios und beschreiben nicht nur das von Gott gemeinte Verhältnis des Moslems
zum Islam, sondern allgemein das Verhältnis des Gläubigen zu Gott und seiner
Religion. Nicht nur wegen des tieferen Verständnisses des Islam ist dieses Buch
also auch für Nicht-Moslems interessant, sondern auch wegen dieses
allgemeingültigen Beschreibens der Eigenschaften Gottes und des Weges des
Menschen, das allen großen religiösen Büchern zu eigen ist. Hierbei zeigt er
auch mehrfach Parallelen zur Botschaft der Bergpredigt bzw. zum Christentum auf.
Z.B. stellt er klar, dass das Verhältnis des Gläubigen zu
schriftlicher Überlieferung nicht in einem stupiden Buchstabenglauben bestehen
darf, der die Vernunft ausschließt. Khorchide fragt, was das denn für ein Gott
sein solle, der uns die Vernunft gibt, um uns dann Glaubenssätze und Verhaltensvorschriften zu geben, die
jeder Vernunft widersprechen. Man müsse die Botschaften des Korans in ihrem
historischen Bezug deuten, um die wahre Intention dahinter herauszuarbeiten –
eine Aussage, dieses tiefgründigen Buches, die sich die Bibel-Exegeten ebenso
zu Herzen nehmen sollten!
Diese Haltung für ein von der Vernunft geprägtes
Schriftenstudium führt jedoch nicht zu einem eindimensionalen
Religionsverständnis. Khorchide stellt klar, der Sinn der Religion könne es
nicht sein, nur einen ethischen Verhaltenskodex aufzustellen. Das könne die
Vernunft auch, die Religion aber müsse etwas bieten, das über die Vernunft
hinausgehe, sonst brauche man sie nicht. Dieses „Mehr“ sei die Herzensbeziehung
des Menschen zu Gott. Dieser Hinweis richtet sich vor allem an die
Religionslehrer, die die Menschen mit dezidierten unsinnigen Verhaltensvorschriften quälen,
deren Nichtbeachtung sehr schnell drakonische Höllenstrafen nach sich ziehen
würde. Khorchide erkennt in dieser Form der Religionsauslegung kein Weg zur
Heilung und Transformation des Menschen, sondern lediglich ein probates
Machtinstrument. Mit diesen Aussagen zielt er auf die Sorte religiöser Führer,
der er in seiner saudisch-arabisch-islamischen Erziehung begegnet ist, doch
sie lassen sich ohne weiteres auf ein konfessionell-kirchlich geprägtes
Christentum übertragen.
Erhellend und allgemeingültig sind auch die Aufklärungen
darüber, dass sich eine ewige Hölle mit einem barmherzigen Gott nicht
vereinbaren lässt, oder dass es sich nur um ein Missverständnis handeln kann,
wenn man sich vom nachtodlichen Paradies materielle Belohnungen verspricht.
An seine Grenzen gelangt Khorchide offenbar, wo er es
versucht, den strafenden Gott mit seiner Auffassung von Gottes Barmherzigkeit
zu vereinbaren. Er versucht da etwas mit der unterstellten pädagogischen Absicht
Gottes hinzubiegen, die er mit seinen angeblichen „Strafen“ verbinde, aber so
richtig zu überzeugen vermag er damit nicht. Dabei lassen sich die Phänomene
der Krankheiten, Naturkatastrophen und anderer Schicksalsschläge so einfach
erklären, wenn wir das Gesetz von Ursache und Wirkung – auch Karma-Gesetz
genannt – mit einbeziehen. Auch erklärt es Khorchide nicht, weshalb denn Gott
ein mitteilsamer Gott sein soll, der durch seine Offenbarungen den Menschen die
Hand reicht – weshalb er aber damit nach dem Erscheinen Mohammeds in der
Weltgeschichte aufgehört haben soll. Die Existenz authentischer
Neu-Offenbarungen wäre eigentlich die logische Konsequenz seiner Aussagen
(zumal ja der Koran nach seinen Aussagen heute nur noch richtig gedeutet werden
kann, wenn man den historischen Kontext betrachtet – also kurz gesagt, veraltet
ist). Hier zeigt sich leider, dass der seriöse Anspruch der theologischen
Wissenschaft zu Scheuklappen führt, die zwar der Anerkennung innerhalb dieser
Zunft dienen, nicht jedoch der unbegrenzten tabulosen Wahrheitsfindung.
Dennoch und gerade deshalb ist dieses Buch in der heutigen
Zeit hochwichtig. Denn die Autorität des Autors bezüglich einer fundierten Auslegung
des Korans ist unbestreitbar und mit vernünftigen Argumenten eigentlich nicht anfechtbar. Hierdurch erhalten seine erhellenden Aussagen zur
wahren, ursprünglichen Botschaft des Korans die enorme Relevanz.
Das ist erhellend auch für mich persönlich. Die Aussagen
eines Islam-Kritikers haben mich sehr verunsichert, der sagte, die feindselige
Haltung der Attentäter und Dschihadisten gegenüber den Nicht-Moslems seien
keine Ausrutscher, sondern seien nur die Konsequenzen aus der islamischen
Lehre. Daher könne nicht Bildung die Lösung des Problems sein, da ein noch
tieferes Eindringen in die islamische Lehre nur zu noch extremeren feindseligen
Positionen führen könne. Deshalb seien solche Leute wie Bin Laden und andere Hetzprediger auch oft hochgebildete Akademiker, die oft nicht nur eine Islam-Schule, sondern auch westliche Universitäten besucht haben. Dieses Buch beweist für mich das Gegenteil: Bildung
ist doch die Lösung. Denn der Ursprung aller Religionen, zu dem wir durch ein gründliches Quellenstudium gelangen können, ist Einer: der
barmherzige Schöpfergott. Da ich der Überzeugung bin, dass ein wahres
christliches Religionsverständnis den Islam nicht ausschließt, sondern mit
einschließt (weil es über ihn hinausgeht), bekenne ich daher: Im Sinne der
Auslegung Khorchides bin auch ich ein Moslem. Ich bin ein Christ, aber
gleichzeitig ein Moslem.
Tausend Dank für dieses Buch, da es mein Verständnis des
Islam auf die richtige Basis gestellt hat!